- Regie:
- Bernd Sahling
- Land und Erscheinungsjahr:
- Deutschland 2004
- Altersfreigabe der FSK:
- ab 0 Jahren
- Altersempfehlung:
- sehenswert ab 8 Jahren
- Länge:
- 88 Minuten
- Kinostart:
- 28. Oktober 2004
Von anderen Mädchen ihres Alters unterscheiden sich die beiden Freundinnen Marie und Inga nur dadurch, dass sie blind sind und unter der Woche in einem Internat für Sehbehinderte leben. Beide spielen ein Instrument und lieben die Musik, mit der sie die Welt auf ihre Weise sehen. Als sie über das Internet erfahren, dass eine Schülerband noch Verstärkung sucht, um an einem Talentwettbewerb im Fernsehen teilnehmen zu können, bewerben sie sich. Dies, obwohl sie den „Guckis“, wie sie die Sehenden nennen, nicht ganz trauen. Und tatsächlich, die Jungen befinden, sie machen zwar gute Musik, seien aber nicht medientauglich.
Kurz darauf lernt Marie Herbert kennen, der von der Polizei wegen Autodiebstahls gesucht wird. Marie mag den ruhigen Jungen auf Anhieb und bietet ihm mit Ingas tatkräftiger Unterstützung heimlich Unterschlupf in der Sternwarte des Internats. Herbert ist Russlanddeutscher und mit seinem Vater nach Deutschland gekommen. Doch er sehnt sich nach seiner Mutter und seiner Heimat und möchte zurück nach Kasachstan. Das kostet aber viel Geld. Da kommt Inga auf die Idee, das Geld als Straßenmusikanten zu verdienen, zumal Herbert Akkordeon spielt. Als Clowns geschminkt machen sich „Die Blindgänger“ auf in die Stadt, doch kaum haben sie etwas Geld zusammen, wird es ihnen von Jugendlichen auch schon geklaut. Erneut hat Inga die rettende Idee: Gemeinsam wollen sie am Wochenende ohne Wissen der Internatsleitung ein eigenes Musikvideo für den Fernsehwettbewerb aufnehmen, bei dem ein hohes Preisgeld winkt. Das klappt nicht ganz so wie geplant und am Ende steht die Polizei vor der Tür. Aber in dem verständnisvollen Internatsbetreuer Herrn Karl finden sie unerwartet einen Verbündeten, mit dem sie nicht gerechnet hatten.
In seinem außergewöhnlichen und wagemutigen Debütspielfilm konnte der Regisseur Bernd Sahling auf langjährige Erfahrungen im Umgang mit Blinden zurückgreifen. Über 18 Jahre begleitete er die blinde Tochter von Freunden seit ihrem zweiten Lebensjahr mit der Kamera. Mit diesem Filmmaterial gestaltete er drei Dokumentarfilme über das Leben des blinden Mädchens. Ein wenig von Sahlings Person mag wohl auch in dem von Dominique Horwitz rundum sympathisch verkörperten Herrn Karl eingeflossen sein, der die blinden Kinder ständig mit seiner Videokamera filmt. Manchmal wirkt er dabei etwas aufdringlich, dennoch hat er das Herz am rechten Fleck. Für die beiden eigenwilligen und gewieften Mädchen wird er zu einem echten Freund, und dies ohne Helfersyndrom und Autoritätsgebahren.
Die Hauptdarstellerinnen Ricarda Ramünke als etwas schüchterne Marie und die de facto drei Jahre ältere Maria Rother als Powergirl Inga sind tatsächlich stark sehbehindert und besuchen Schulen für Sehbehinderte. Für die Dreharbeiten waren sie acht Wochen am Set und ihre Mühe und die des Filmteams haben sich gelohnt. Es gibt im deutschen Kinderfilm thematisch bisher nichts Vergleichbares. Die Kinder haben eine eindrucksvolle Leinwandpräsenz, die durch eine bestechend konsequente Filmdramaturgie verstärkt wird. Die Musik ist für einen Film, der im Jugendmilieu spielt, außergewöhnlich behutsam eingesetzt. Viel wichtiger sind die Geräusche sowie das sparsam gesetzte Licht, die einen starken Eindruck von den Gefühlen der blinden Protagonisten und ihrer „Sicht der Dinge“ vermitteln. Der Film, der sehr empfindsam den Alltag blinder Menschen zeichnet, ist optimistisch, oft witzig und hat natürlich auch ein Happy End. Dieses aber zeigt den „Gucki“ Herbert mehr als Suchenden als die blinde Marie, die ihren Weg offenbar bereits gefunden hat.
Sensibel und unaufdringlich weist der Film auf die Probleme von Blinden und ihre etwas andere Wahrnehmung der Realität hin. Die beiden Freundinnen haben dieselben Probleme und Sehnsüchte wie andere in ihrem Alter, oft sogar ähnliche Freizeitaktivitäten vom Surfen im Internet bis zum Fernsehabend. Aber Blinde organisieren ihren Alltag notgedrungen anders und sie können dabei immer noch zu selten mit dem Verständnis ihrer sehenden Mitmenschen rechnen. Der bereits mehrfach mit Filmpreisen ausgezeichnete Kinderfilm regt darüber hinaus an, eine neue Sicht der Dinge zu entwickeln. Das beschränkt sich keineswegs nur auf die Welt der Blinden, sondern auch auf typische Erwartungshaltungen, etwa wenn Herbert lieber in seine kasachische Heimat zurück will, als in Deutschland zu leben und lieber zu einem der drei „Blindgänger“ wird, als sich das Geld auf andere Weise zu beschaffen.
Was den „Guckis“ oft selbstverständlich scheint, stellt der Film zur Diskussion. Dazu gehört auch, dass wir unsere Umwelt und uns selbst viel zu sehr allein mit den Augen wahrnehmen. Andere Sinne und insbesondere der Tastsinn verkümmern dabei. Mit Hilfe der Braille-Schrift (Blindenschrift) kann man mit dem Tastsinn sogar lesen – und im Unterricht spicken, selbst wenn man die Lehrerin dabei nicht beobachten, sondern nur hören kann. Die vielleicht beeindruckendsten Szenen des Films sind wohl die, in denen zunächst Marie, später dann Herbert ihre Gesichter gegenseitig ertasten, sich allein mit dem Tastsinn wahrnehmen und „sehen“. Solche Szenen sensibilisieren dafür, dass wir „Guckis“ auch erst lernen müssen, zu sehen - vielleicht sogar mit Hilfe des Kinos und mit diesem Film.
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